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Eisler-Preis an Bertram Hasenauer, Bank Austria Kunstforum, 27.05.09, 19.30 h
Toni Stooss Museum der Moderne Salzburg

Ich bin gebeten worden, nur ein paar Minuten zur Arbeit des Eisler-Preisträgers Bertram Hasenauer zu sprechen - was nicht ganz leicht fällt, sind doch seine Gemälde und Zeichnungen, die durchaus figurativ – nicht aber „realistisch“ und schon gar nicht „fotorealistisch“ daherkommen -, weit komplexer, als es auf den ersten Blick, im ersten Augenblick, den Anschein hat.

Dieser erste Blick sieht Porträts von jungen Leuten oder kleine Landschaftsdarstellungen, scheinbar klassische Genres der Malerei seit der Renaissance, und wird schon einmal irritiert durch eine Rückenansicht oder eine Verhüllung, die den oder die Porträtierte nur vermuten lässt. Oder gar durch die Verdoppelung und Vervielfachung eines Kopfes oder einer Büstenform.

Körper, Köpfe und auch Bäume silhouettieren sich, trotz der fein modellierenden Binnenzeichnung der Porträts, vor einem monochromen Hintergrund, dessen Beschaffenheit Hasenauer – für den Betrachter kaum merklich – in letzter Zeit perfektioniert hat.

Bei Hasenauer werden die Mittel der Herstellung von Bildern, die Differenz von anscheinendem Vorbild und scheinbarem Abbild zum eigentlichen Bildgegenstand. Die Porträts, durchaus nach fotografischen Vorlagen entstanden, stellen eine Art Synthese dar, es sind vielmehr Erinnerungsbilder denn Konterfeis von Individuen. Sein Abbild einer menschlichen Figur, einer Büste, eines Gesichts, in scheinbar „realistischer“ Malweise weist auf eine Diskrepanz zwischen figurativer Malerei und etwaiger Ähnlichkeit mit dem Vor-Bild hin. Die durchaus perspektivisch modellierte Gestalt „floatet“ im undefinierten Raum, lässt die rationale Situierung innerhalb einer rationalen Bildlogik ins Leere laufen. Damit eröffnen sich undefinierte Zwischenräume in einem tradierten figurativen System, die uns an Bildwelten noch vor den Eroberungen der Renaissance erinnern, wo Abbildtreue und Rationalität des Bildraums, verkörpert in der Perspektivkonstruktion, eines der obersten Gebote waren.

Seine Gestalten, die durch keinerlei Attribute historisch zu situieren sind, verkörpern weder ideale Darstellungen eines Individuums noch Vorstellungen einer mythisierten Gestalt, sondern sind zugleich Erinnerung an etwas Gesehenes und Idee zu einem möglichen Porträt. In dieser Zwischenzone gerinnt Individualität zum Typus – und umgekehrt.

Die Bilder eröffnen Räume von scheinbar unbegrenzter Ausdehnung, die sowohl im Schauen der Porträtierten als auch des Betrachters entstehen. Hasenauers Porträts sind aber immer auch mentale Selbstporträts: zwischen Introspektion - also dem Blick nach innen - und Beobachtung - dem Blick auf das Gegenüber - changierend, unterlaufen seine Bilder die Grenzen von innen und außen. Wahrnehmung und Imgination scheinen einander zu überlagern und lassen die Körper, die Köpfe, die Landschaftsausschnitte - wie eine räumlich nicht situierbare Fata Morgana – als schwebend erscheinen. Was sie natürlich unterscheidet vom flimmernden Trugbild der Fata Morgana ist die fast skulpturale Erscheinung, die auf einer äußerst präzisen Zeichnung, einer feingliedrigen Malerei basiert. Einer Zeichnung, einer Malerei, die zwar präzise modelliert, Unreinheiten oder Falten des Karnats aber ausblendet – oder vielmehr, um einen Begriff des Fotografischen zu verwenden – überblendet. Das Zeitlose, das Eingefrorensein, das sie mit der Fotografie vielmehr verbindet als etwa eine „reale“ Wiedergabe, entsteht gleichsam aus der bildnerischen Auffassung selbst.

Vielen der Porträts eignet dadurch etwas Ikonenhaftes – der neutrale Goldgrund der Ikone - der ein Transzendentes, ein Jenseitiges, ein Paradiesisches verheißt - ist hier jedoch dem neutralen Weiß gewichen, jener Nichtfarbe, die in unserer kulturellen Breiten für die Lebensbejahung steht, etwa in der traditionellen Brautrobe, in anderen Kulturen jedoch die „Farbe“ des Todes ist.

Hasenauers bildnerische Auffassung provoziert in den Porträts auch ein anderes Schweben, als das Schweben im Raum: das Schweben zwischen den Geschlechtern, das nicht Eindeutige, mit einem Wort das Androgyne. Auch dieses Moment verleiht den Büsten und Porträtdarstellungen etwas Über-Reales, etwas – im ursprünglichen Sinn des Begriffs – Sur-Reales. „Surrealismus“ entsteht hier also nicht aus der Konfrontation von rational unvereinbaren Darstellungen - wie bei Salvador Dalí oder René Magritte -, es sei denn in den Spiegelungen, und Wiederholungen, mit denen Hasenauer uns ganz auf den malerischen Ausdruck, auf die Komposition, weg von der „Identität“ des Dargestellten, zum Kaleidoskopischen hin führt. Das „Ego“ und das „Alter Ego“ sind in diesem Fall axialsymmetrische Spiegelungen und lösen sich im Dekorum auf.

Oft bietet er uns mit Verhüllungen oder Vermummungen ein deutliches Gegengewicht zu den Porträts an, so vor allem auch in einer 2006/07 entstandenen Serie von (23) Zeichnungen unter dem Titel Tomorrow will be different, die hier nicht zu sehen ist. Die Verhüllung ist inhaltlich und vom malerischen Ausdruck her der Gegenpol zu den scheinbar porträthaften Darstellungen. Rückenansicht, Verschleierung oder Maske lassen das Gesicht, das Individuelle und  Kennzeichnende des Porträts, unsichtbar werden. Die Dargestellten werden zu anonymen Figuren - mit dem Gesicht wird ihre Individualität nun ganz verborgen. Dass die Verhüllung – im Unterschied zur Indifferenz der meisten Gesichtsaudrücke - brutal erscheint und heute durch die in den Medien portierte Bilderflut, von Abu Ghraib bis Guantanamo, auch Gewalt-Assoziationen weckt  und die Figuren zugleich misshandelt und bedrohlich wirken lässt - verweist einerseits auf die Assoziationen, die sich mit den medial kolportierten Bildern verbinden. Andererseits auf die positiven Zuschreibungen, die mit dem Anblick eines offenen Gesichts verbunden sind.

Hervortreten und Verschwinden sind die Kehrseiten derselben Medaille, wie etwa auch in einer Reihe von gezeichneten Physiognomien, die mit Remember it was blue betitelt sind. Sind die durchscheinend skizzierten Gesichtszüge im Verschwinden begriffen oder bezeichnen sie den Weg zu einem ausgearbeiteten Porträt? Beide Lesarten sind enthalten, also ambivalent; Entstehen und Verschwinden sind auf leicht melancholische Weise miteinander verbunden.

Hasenauers Titel, wie der genannte Remember it was blue, beinhalten ein Moment des „Zeitlichen“, das meines Erachtens wiederum von einer anderen Seite her auf ein Moment des Fotografischen verweist: Während etwa Henri Cartier-Bresson ein Meister der spontanen Sicht einer „Komposition“ war und den „moment décisif“ - den entscheidenden Moment - sah und bannte, misstraut Hasenauer dem Instanten.

Ganze Bildreihen, keine Serien, werden durch solche zeitlich konnotierten Titel verkettet:
All instant things are fading in den Rückenansichten
Still hanging on to what my be bei den seitlichen Porträts
You thought you held yesterday bei den gespiegelten Ansichten.

Das „Davor“ beinhaltet immer auch schon das „Danach“. Seine malerischen Fixierungen wirken im Habitus oft wie frühe Foto-Aufnahmen, aus denen alles Spontane, alles Dynamische dem Schwebezustand gewichen ist. Vergleichbar mag es dem Betrachter auch mit den Waldstücken gehen, die etwa Tomorrow is just a yesterday dream heißen. Die Bilder erscheinen als Darstellungen unbelebter, unterschwellig bedrohlicher Orte, deren fragile Natur – auch im Entstehen oder Verschwinden - durch die Malerei in Szene gesetzt wird. Wie Kulissen stehen sie als „Naturfragmente“ vor dem ebenfalls weißen Hintergrund, mit dem sie sich nicht verbinden. Die Baumkulissen erscheinen in der Binnenzeichnung fast amorph, wie bei einer alten Aufnahme, wo durch die technisch notwendig lange Belichtungszeit sich etwa sanft bewegende Baumkonen, Äste und Blätter zu einer wenig differenzierten Erscheinung verdichten, etwas Undurchdringliches erhalten, gar etwas zu verbergen scheinen. Der Ort erscheint wie ein Tatort, wie jener baumbestandene Ort im Filmklassiker „Close Up“, der erst durch das Heran-„Zoomen“, durch das Detail, sein Geheimnis preisgibt.

Der Raum und vor allem die scheinbare Leere dahinter werden so teilweise verdeckt und erhalten eine irritierende Präsenz. Auch die Chiffre für das Landschaftliche bleibt ambivalent, zwischen synthetisierter Naturaufnahme, Kulisse und „Tatort“, so wie die sichtbaren oder verhüllten Porträts ambivalent verharren, zwischen scheinbar individueller Darstellung, Negation des Individuellen und Typus.

Im Nebeneinander von Porträts und Verhüllungen und der damit implizierten Frage nach dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren, drängt sich die Frage auf, inwiefern auch die Porträtgesichter wie Filter fungieren. Ob selbst die auf den Betrachter gerichteten Augen wirklich Ausdruck haben, gleichsam die vielzitierten „Fenster der Seele“ sind.
Vieles an diesen Blicken mahnt mich an die Fotografien einer Schauspielerin (Margarita Broich) deren Fotos wir im Sommer im Salzburger Rupertinum zeigen; Aufnahmen von Bühnen- und Filmschauspielern, von Kolleginnen einer fotografierenden Schauspielerin, die unmittelbar nach einem „Ende der Vorstellung“ (= Titel der Ausstellung) entstanden sind. Ausgehend von den Blicken der Filmschauspieler, die nicht mehr in ihrer Rolle agieren, aber noch nicht wieder ganz „bei sich selbst“ zu sein scheinen, wollten wir die Ausstellung vorerst „der leere Blick“ nennen. Dieser leere Blick geht für mich auch von Hasenauers Porträts aus, nicht pejorativ verstanden, sondern als Signal für ein Dazwischen, für das „nicht mehr“ und „noch nicht“ – nicht für den „moment décisif“, sondern für die undefinierte Zeitspanne des Verfügbaren, des Zeitlosen, des Androgynen, der Erscheinung zwischen dem monochromen Grund und dem präzis nach vorne drängenden Abbild.

Hasenauers Porträts rechnen nicht a priori mit dem medial konditionierten Blick der Betrachter. Doch im Porträt suchen die meisten zugleich nach dem sogenannt allgemein Menschlichen wie auch nach den Zügen des Individuellen und spiegeln sich in dieser Ambivalenz. Es sei daran erinnert, dass sich ein Betrachter selbst nicht so sieht, gerade im Spiegelbild nie so sieht, wie er selbst betrachtet wird – außer eben im gemalten Porträt oder in der Fotografie. So öffnen sich in Hasenauers „Porträts“ aber auch in seinen „Landschaften“ flüchtige Räume und Ansichten zwischen Betrachtung und Selbstbetrachtung - seiner selbst und auch der Betrachters seiner Bilder.

Toni Stooss
Mai 2009

 

We are the beautiful few -

Dr. Benjamin Meyer-Krahmer

zu Bertram Hasenauers Tomorrow will be different (23 Zeichnungen, 2006/07)

Die Zeichnungen von Bertram Hasenauer öffnen Räume von scheinbar unbegrenzter Ausdehnung, die im Schauen des Portraitierten und des Betrachters entstehen. Zwischen Introspektion und Beobachtung changierend, unterlaufen seine Bilder die Grenzen von innen und außen. Imagination und Wahrnehmung scheinen einander zu überlagern.

Im Gegensatz zu anderen Serien Hasenauers bilden in Tomorrow will be different die Verweigerung, die Verhüllung und das Geheimnis ein deutliches Gegengewicht zu portraithaften Darstellungen. Schleier, Maskierung und Rückenansicht lassen das Gesicht, das Kennzeichnende des Portraits, häufig unsichtbar werden. Nur in den Physiognomiestudien und zwei weiteren Zeichnungen ist der Betrachter mit dem direkt auf ihn gerichteten Blick des Portraitierten konfrontiert. Doch obwohl im Zyklus der insgesamt 23 Zeichnungen das herkömmliche Portrait die Ausnahme ist, stellt er doch eine Reflexion des Portraits dar und kreist um die Frage, was dieses Genre ausmacht. Hinzu treten Text, Studien zum Faltenwurf und Waldstücke, denen ebenfalls die Dimension des Geheimnisvollen eignet und die in ihrer nicht zu entschlüsselnden Rätselhaftigkeit eine dahinter stehende individuelle Perspektive andeuten.

Die mit komplett verhülltem Kopf und Körper dargestellten Menschen werden zu anonymen Figuren - mit dem Gesicht scheint zugleich ihre Individualität verborgen zu werden. Dass die Verhüllung brutal erscheint, Gewalt-Assoziationen weckt und die Figuren zugleich misshandelt und bedrohlich wirken, verweist auf die Zuschreibungen, die mit dem Anblick eines offenen Gesichts (in der christlich, westlich geprägten Tradition) verbunden sind. In den detailliert ausgeführten Faltenwürfen "Without a shift in daylight" lässt sich die mögliche Existenz einer zumindest momenthaften Individualität des Schleiers entdecken. Dadurch wird die verhüllende Oberfläche in einer Umkehrung ihrer intendierten Funktion selbst zur relevanten Bedeutungsebene. Doch auch hier gibt es eine weitergehende Irritation: Obwohl die Anmutung menschlicher Anatomie in den angedeuteten erahnt werden kann, ist nicht erkennbar, welchen Teil des Körpers diese Schleier verhüllen.

Die mit "Remember it was blue" betitelten, skizzenartigen  Physiognomiestudien erinnern an Rötelzeichnungen alter Meister. Sie scheinen sich und ihre Betrachter zu fragen, ob womöglich einst Farbe war, wo jetzt - "All instant things are fading" - Rötel ist oder umgekehrt: Sind die Gesichtszüge im Verschwinden begriffen und nur noch ein Schimmer ihrer selbst oder ist ein Moment des künstlerischen Schaffensprozesses auf dem Weg zu einem ausgearbeiteten Portrait fixiert? Beide Lesarten sind enthalten und so werden melancholisch, jedoch nicht ohne Humor, Entstehen und Verschwinden als nicht unterscheidbar miteinander verbunden.

Vergleichbar mag es dem Betrachter der Waldstücke "Tomorrow is just a yesterday dream" ergehen. Die Bilder einer schwarzweiß geträumten Sequenz erscheinen als Darstellungen unbelebter, unterschwellig bedrohlicher Orte, deren ephemere, fragile Natur - bzw. Entstehen oder Verschwinden - auch durch den sichtbaren Strich des Zeichenstiftes in Szene gesetzt wird. Wie Scherenschnitte stehen die Naturfragmente kulissenartig vor einem weißen Hintergrund, mit dem sie sich nicht verbinden. Der Raum und vor allem die scheinbare Leere dahinter werden so teilweise verdeckt und erhalten eine irritierende Präsenz. Wie im Falle der anderen Formen von Verhüllung, die in den Zeichnungen zu finden sind, stellt sich also auch hier die Frage nach der Bedeutung dieser unterschiedlichen Ebenen.

In der Kombination von Portrait und Verhüllung und der darin angedeuteten Konturierung der Leere und des Unsichtbaren wird nicht nur die Frage reflektiert, inwiefern auch das Gesicht ein Schleier ist oder ob die Augen wirklich die Fenster der Seele sind. Vielmehr werden darüber hinaus auch die Grenzen der Erkenntnis erkundet, die aus der Betrachtung gewonnen werden können. Allen Zeichnungen scheint ein Geheimnis oder etwas Geheimnisvolles innezuwohnen. Dies ist nicht zuletzt darin begründet, dass wir von dem, was wir vor uns sehen, immer auch selbst angeblickt werden und es in uns wiederhallt. Im Portrait suchen wir zugleich nach dem allgemein Menschlichen, wie nach Zügen des Individuellen und spiegeln uns in dieser Ambivalenz. So öffnen sich flüchtige und dennoch substantielle Räume und Ansichten zwischen Betrachtung und Selbstbetrachtung.

Figur, um die Figur zu verlassen

Dr. Margit Zuckriegl Museum der Moderne Salzburg 2006

Bertram Hasenauer gilt als „figurativer“ Maler. Im Allgemeinen etikettiert man damit ein Bildgestalten, das sich – im Unterschied zur abstrakten Malerei – dem Abbild der menschlichen Figur widmet und dieses in einer künstlerischen Sprache wiedergibt, welche Wiedererkennbarkeit und Identifikation garantiert.
Seit der Renaissance und dem Humanismus ist dieses Streben nach Ähnlichkeit des Vorbilds mit dem Abbild zu dem wichtigsten Kriterium in der Beurteilung der „Wahrhaftigkeit“ von Kunst geworden, parallel im übrigen mit dem Aufbau der Zentralperspektive, die das bildliche Geschehen in ein kognitives Setting von optisch nachvollziehbaren Raum- und
Landschaftskonstrukten einbaut.
Die Dominanten der künstlerischen Produktion waren damit für Jahrhunderte festgelegt:
Mimesis und Ratio – Nachahmung und Verstand.

Was aber, wenn genau diese Kriterien nicht mehr im Bereich der „techne“, also als Mittel der Herstellung von Bildern angesiedelt sind, sondern zum eigentlichen Bildgegenstand werden?
Wenn also das Abbild einer menschlichen Figur in naturgetreuer Malweise wiedergegeben wird, um genau diese Diskrepanz zwischen figurativen Stil und Ähnlichkeit mit dem Vorbild zu thematisieren? Wenn ein perspektivischer Aufbau nur für einen Teil des Bildes gilt und damit die Ratio ins Absurde läuft? Damit eröffnen sich Zwischenräume und Fehlstellen in dem „figurativen“ System, die uns bekannt vorkommen: bediente sich nicht auch die mittelalterliche Malerei der Codices und Fresken einer anderen Skala von Wertigkeit und einer anderen Auffassung von Wiedererkennbarkeit? Man wandte eine figurative Bildsprache an, aber genau mit der Intention, das Figurative zu verlassen – und etwas ganz anderes zu meinen und anzusprechen, nämlich das Unsagbar, das Transzendente, das Jenseitige.

Figur, um die Figur zu verlassen – steht über den Ausführungen zu Bertram Hasenauer neuen Bildern. Er bedient sich eines „figurativen“ Stils, um genau die eben formulierten Forderungen an die Figuration zu verlassen:
Was zunächst wie ein Porträt erscheint, erweist sich als die Idee zu einer möglichen porträtierten Figur; was wie das Bild einer menschlichen Figur erscheint, entschwindet sofort in die vagen Sphären der Erinnerung an eine Figur.
Für Hasenauer ist das Figurative eben nur eine „techne“ – ein Tool, ein Mittel, sich einer quasi-naturalistischen Bildsprache zu bedienen. Die Idee seiner Bilder geht weit darüber hinaus, und verlässt die vordergründige Ebene der Schilderung, der Ähnlichkeit, gleichsam durch die  Hintertür ins Reich der Andeutung und der Poesie.
Für die Menschen, die Hasenauers Figurenkosmos begegnen, ergeben sich völlig neue Situationen: das zunächst einfach zugängliche Porträt erweist sich auf längere Sicht als hoch Komplex; es hat Widerhaken und Untiefen. Der Betrachter kehrt zu der menschlichen Figur, die er gerade in ihrem Bild kennengelernt hat, zurück  - nur um festzustellen, dass sie nicht festzumachen ist, dass sie etwas offen lässt, dass zwischen der realistischen Schilderung und einer unergründlichen Faszination ein Raum für Unwägbares, Unsagbares übriggeblieben ist.

Im Literarischen mag es vergleichbare Fragestellungen geben, weshalb „große Erzähler“ sich immer noch einer schildernden Sprache und einer handlungsorientierten Narration bedienen mögen. In einem Gespräch skizzierte mir Christoph Ransmayr seine Sicht auf die nach wie vor schlüssige Wertigkeit des erzählerischen Gestus: wenn man eine Tiefenbohrung in die Geistesgeschichte der Menschheit machte, so käme in der gezogenen Sonde alles mögliche zutage, zwischen experimentellen und dekonstruktivistischen Strömungen zeigen sich immer Schichten von großen Erzählungen. Man darf aber nicht den Fehler machen, diese in allen Schichten für dasselbe zu halten. Und - so möchte ich hinzufügen - auch der erzählerische Stil von Ransmayr, ist wie die figurative Malweise von Hasenauer, nicht einfach ein mimetisches Abbild des faktischen. In beider Intention geht es um die Verwendung einer „lesbaren“ Sprache,um das Erzählen von Geschichten - aber eben nicht nur um das. Die Menschen, die in den Bildern - auch in den literarischen – auftauchen, haben  besondere Aufgaben. Sie unterliegen nicht mehr dem rationalistischen Werteschema des renaissancehaften Konstrukts des Normativen, sondern evozieren durch ihre Gegenwart eine andere, freie, assoziative und emotionale Welt. In seiner Geschichte über ein sizilianisches Dorf beschreibt Ransmayr einen schweigsamen Musikanten, der da lebt und doch abwesend ist: „ Gegenwart war jetzt nichts mehr als eine heisere Melodie und Müdigkeit“.

Die Verpuppung

Bertram Hasenauers Menschen-Figuren sind ebenso gleichermaßen anwesend wie abwesend. Sie haben sich aus unserer schnelllebigen Zeit verabschiedet und erfüllen eine eigene, unbekannte Mission. Sie sind in sich zurückgezogen, auf ihr Innerstes konzentriert, abgewandt, verhüllt oder verschmelzen nahezu mit dem amorphen Hintergrund. Sie haben ein bestimmtes Stadium des Entstehens hinter sich gelassen, die Strapazen des Werdens, die Verpflichtung zur Dauer. Wie in einer Verpuppung haben sie die Hüllen abgestreift und sind zu einer momentanen Verhärtung geraten. Eingesponnen in einen unsichtbaren Kokon harren sie für einen Augenblick der Veränderung, nicht ohne das Eine und das Andere, das Neue und das Alte, das Männliche und das Weibliche, die Puppe und den Menschen schon immer in sich getragen zu haben.
Es eignet ihnen eine gewisse hypnotische Ausstrahlung, die eigentlich etwas wie eine unsichtbare Aura sein könnte.
Fest zusammengeschlossen werden sie von einem starken Kontur eingefasst, von einer silhouettenhaften einfachen Form gegenüber der undefinierten Folie des Hintergrundes abgesetzt. Etwas Magisches und Unwirkliches eignet ihnen, etwas, wie nicht von dieser Welt.
Sie sind - wie weggeglitten aus dem Hier und Jetzt - wie ein Bildtitel von Bertram Hasenauer andeutet: „You somehow slip away“ oder wie „All instant things are fading“, so nehmen sie diese unsichere Sphäre ein zwischen anwesend und abwesend, zwischen wirklich und magisch, zwischen sinnlich und übersinnlich, zwischen dem Verschwinden des Körperlichen und der Wirksamkeit des Seelischen. 

Die absolute sinnliche, ja erotische, Präsenz gepaart mit den Abgründen des Seelischen schien immer die Domäne von Edvard Munch zu sein.
Seine Porträts sind weit mehr, als die bloß vordergründig ähnliche Wiedergabe der Physiognomie eines Menschen oder einer menschlichen Figur. Von ihm wird gesagt, dass er immer bestrebt war, die subtilsten Visionen der Seele in seinen Menschenbildern anschaulich zu machen und bei vielen seiner Porträts wissen wir nicht, ob wir den Porträtierten sehen oder die gedanklichen Emanationen der betreffenden Person.  Wie Ikonen oder Inbilder sind sie unbeweglich, fest umschlossen von einer drastischen Linienführung, aufgebaut wie eine Skulptur vor einem völlig andersgearteten, oft tiefschwarzen Hintergrund.
Munch’s Menschen changieren zwischen dem Symbolhaften und dem Wahrhaftigen, zwischen der eigenen Präsenz und der Aura ihrer Anwesenheit. Sie verkörpern die sinnliche Anziehung und die verstörende Gefährlichkeit gleichermaßen.
Edvard Munch wollte sich von seinen Porträts nicht trennen. Obwohl Auftragswerke konnte er sich einfach nicht dazu überwinden, sie dem Porträtierten auszuhändigen. Er fand sich ihnen selbst so ähnlich, so tief mit ihnen verbunden und so intensiv mit dem Unsagbaren ihrer magischen Präsenz verzahnt, dass er sie nicht schutzlos der Welt ausliefern wollte. Und er fand, dass sie von etwas „Anderem“ erzählten, das tief im Menschen drinnen wurzelt und das nicht zu ergründen ist: in den Augen der Munchschen Ur-Frau Omega lässt sich das ablesen, was auch die Bilder von Bertram Hasenauer so anziehend und doch so abgründig macht. Munch charakterisiert sie in seinem Versgedicht von 1908 so: „Die Augen Omegas waren wechselnd von Farbe. An gewöhnlichen Tagen waren sie blau wie der Himmel, aber wenn sie ihren Liebsten erblickte, wurden sie schwarz - und es blitzte rot in ihren Tiefen.“

Verwendete Literatur:
Christoph Ransmayr: Chiara, in: Der Weg nach Surabaya, Frankfurt/Main 1997
Edvard Munch, Alpha & Omega, Hamburg, 1982
Edvard Munch, Vampir, Kunsthalle Würth, 2004

 
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